Max-Weber-Schule Gießen
An diesem Tag fand das 20-jährige Stiftungsfest des Kaufmännischen Vereins (Zusammenschluss von Angehörigen des Kaufmannsstandes, v. a. tätig in kfm. Erwachsenenbildung) statt. Der Vereinsvorsitzende K. Orbig hatte die Rede auf die Gründung einer Kaufmännischen Fachschule gebracht und Unterstützung bei der Stadt Gießen gefunden.
Die Generalversammlung des Kaufmännischen Vereins beschloss einstimmig die Gründung einer „Kaufmännischen Fachschule“.
In drei Zimmern des Café Ebel begann Unterricht der Kaufmännischen Fachschule in Gießen (erst nach dem WK I setzte sich Bezeichnung „Kfm. Berufsschule“ durch).
Erste Schüler waren 39 fortbildungschulpflichtige Kaufleute und 46 Lehrlinge als freiwillige Schüler. Der erste Unterricht war zunächst ein Winterkurs in Buchführung, Korrespondenz, Rechnen, Wechsellehre, Französisch und Englisch. Er wurde abends zwischen 20:00 – 22:00 Uhr gehalten.
Nach wenigen Wochen wurde der obere Stock der Wirtschaft „Zum Postkeller“ dazu gemietet und ab 06. Januar 1894 dort unterrichtet.
Zunächst gab es nur einen Sommerkurs: Schön- und Rechtschreiben, Stenographie. Dieser Kurs stand nur männlichen Schülern offen.
Erster Schulleiter der damaligen „Kaufmännischen Fachschule“ war von 1894 – 1923 Heinrich Knauß.
Zur Jahrhundertwende wurde ein Kurs ausgeschrieben, zu dem sich 23 Mädchen meldeten.
185 Lernende besuchten die Schule.
Die Schülerzahl erhöhte sich auf 218.
Die Schule ging aus den Händen des kfm. Vereins und der Aufsicht der Handelskammer in die Verwaltung der Stadt Gießen über. Die Aufsicht wurde dem Landesamt für das Bildungswesen übertragen. Die Kaufmännische Fachschule Gießen wurde Kaufmännische Abteilung der neuen Fortbildungsschule, hauptamtliche Lehrer ersetzten nach und nach die bisherigen nebenamtlichen Lehrkräfte.
Die Kfm. Fortbildungsschule siedelte aus dem Kfm. Vereinshaus in den Nordflügel der „Alten Klinik“, Liebigstr. 16 über.
Mittlerweile war die Klassenzahl auf 18 angewachsen, 474 Schülerinnen und Schüler besuchten die Schule. Es gab einen ersten internen Verweis auf Verwendung der Bezeichnung „Berufsschule“ (als Schulname im Jahresbericht 1929/30 verwendet, erst 1937 reichseinheitlich eingeführt). Es kam zur Bezeichnungsänderung in „Öffentliche Handelslehranstalt“.
Es erfolgte die Einführung des „Kontorunterrichts“ (Geschäfte einer Scheinfirma, Gedanke der ganzheitlichen Kaufmannsbildung, Verbindung von theoretischer und praktischer Ausbildung). Dies wurde allerdings ein Misserfolg (1971 neuerlich versucht, erst 1993 wieder aufgenommen).
Der zehnjährige Verwaltungs- und Personalverbund von Kaufmännischer Berufsschule und Handelslehranstalt endete.
Die Kaufmännische Berufsschule wurde vorübergehend im Gebäude der Alten Pestalozzischule untergebracht, aber schon nach drei Monaten nach Kriegsbeginn wieder in die Alte Klinik zurück verlegt.
Es erfolgte der Umzug in die Alte Pestalozzischule (Stadtknabenschule), Nordanlage 18.
Der Berufsschulunterricht wurde von 10 auf 5 – 6 Wochenstunden vermindert, die Winterkälte erzwang weiteren Unterrichtsausfall. Für die rund 600 Schüler in 25 Klassen und 3 Sonderabteilungen standen 1940/41 nur fünf voll- und zwei teilzeitbeschäftigte Lehrkräfte z. V. Später gab es Fliegeralarme und Nachtwachen, die den Unterricht zusätzlich beeinträchtigten.
Es wurden 905 Schülerinnen und Schüler in 34 Klassen registriert.
In dieser Nacht kam es zu einem verheerenden Bombenangriff auf Gießen.
Auch das Gebäude der Kaufmännischen Berufsschule in der Nordanlage 18 wurde von Bomben getroffen und brannte aus. Danach war bis zum Einzug der US-Armee am 28. März 1945 nur noch unregelmäßig Unterricht in einem Hinterhaus der Goethestr. 7 sowie einer Außenstelle in Grünberg möglich.
Die Kaufmännische Berufsschule konnte den Unterricht wieder aufnehmen.
Es wurden 679 Schülerinnen und Schüler in 29 Klassen registriert.
Die Zahl der Lernenden wuchs stetig: 1.056 Schülerinnen und Schüler wurden unterrichtet.
In einem Schreiben des damaligen Schulleiters Nikolaus Rück vom 22. Mai 1951 an den OB der Stadt Gießen wurde darauf hingewiesen, dass keinerlei Erfüllung der Ansprüche hinsichtlich Sicherheit, Hygiene und Bewegungsfreiheit bestand.
Die Schule war immer noch in einem Hinterhaus der Handels- und Gewerbebank (Goethestr. 7 H) untergebracht. Die wenigen Räume waren niedrig, klein und dunkel und nahmen Klassen bis zu 49 Lernenden auf. Der Schularzt Dr. Hoppe berichtete von „unhaltbaren Zuständen“ und führte weiter aus: „Tatsächlich sind an keiner Schule in Gießen die Unterbringungsmöglichkeiten für Schülerinnen und Schüler so schlecht wie an der kaufmännischen Berufsschule.“
Der Schule wurden 7 zusätzliche Unterrichtsräume sowie ein Lehrer- und Lernmittelzimmer in der Bergkaserne, Grünberger Str. 116 zugewiesen. Die ausgesprochene Kündigung durch die Liegenschaftsstelle des Finanzamtes konnte bis Ende Februar 1955 hinausgezögert werden.
Es wurden 1.200 Schülerinnen und Schüler registriert. Ende 1952 konstituierte sich der erste Schulelternbeirat. Der rechte Flügel und der Mittelteil des alten Realgymnasiums (Ludwigstr. 11) wurden hauptsächlich für Zwecke der Kaufmännischen Berufsschule wieder aufgebaut und im Laufe des Jahres 1953/54 bezogen (bis zur Fertigstellung des neuen Hauptgebäudes 1957 war wegen Raumnot die Unterbringung in weiteren Außenstellen notwendig).
Der wirtschaftliche Aufschwung bewirkte einen starken Anstieg der Schülerzahlen:
Die zentrale Lage der Schule in Gießen war von Vorteil, da Ausbildungsberufe mit geringen Ausbildungszahlen in der Fläche in Gießen zentralisiert wurden.
1955 gab es eine erste Fachklasse für zahnärztliche Helferinnen, im SJ 56/57 eine erste Fachklasse für Sprechstundenhelferinnen (Arzthelferinnen), ebenso Apothekenhelferinnen (Unterricht im nichtkfm. Bereich wurde von Ärzten, Zahnärzten und Apothekern übernommen).
Seit 01.09.1956 gab es eine Fachabteilung für Dekorationslehrlinge (4 Fachklassen für Bereiche Textil, Eisen- und Haushaltswaren, Lebens- und Genussmittel sowie Leder und Papier), die (heutigen) Verkäuferinnen im Nahrungsmittelhandwerk (damals Gewerbegehilfinnen bei Bäckern und Metzgern) besuchten im ersten Lehrjahr die kfm. Berufsschule und wurden danach an die Gewerbliche Berufsschule überwiesen.
Es erfolgte der Bezug des neuen Gebäudes am Platz des alten Pestalozzischulhauses, welches mit Kosten von 700.000 DM errichtet wurde.
Zur Einweihungsfeier 30. November 1957 war das neue Haus schon deutlich zu klein, um alle Schülerinnen und Schüler ordnungsgemäß zu beschulen. So musste z. B. der Aufenthaltsraum sofort als Klassensaal genutzt werden.
Die Berufsaufbauschule in Teilzeitform wurde implementiert. Hier gab es Zusatzunterricht abends und samstags über 7 Halbjahre während und nach Ausbildung mit der Möglichkeit, die Fachschulreife zu erwerben (lief 1979 wegen geringen Interesses aus).
In den Annalen der Schule wurden 30 hauptamtliche Lehrkräfte, 2 Studienreferendare, 41 nebenamtliche bzw. nebenberufliche Lehrkräfte registriert.
Das Schulgebäude wurde um ein Stockwerk erhöht, wodurch man 7 zusätzliche Unterrichtsräume erhielt. In späteren Jahren erfolgte ein weiterer Anbau.
An der Kfm. Berufsschule wurde die Fachoberschule Wirtschaft & Verwaltung eingeführt. Das Gebäude C wurde von Alter Aliceschule geräumt (von der ebenfalls dort untergebrachten Albert-Schweitzer-Schule aber erst einige Jahre später), das Gebäude wurde den Beruflichen Schulen zugesprochen.
Der Raumbedarf der kaufmännischen Schulen war aber zwischenzeitlich stark gestiegen (Pflichtstundenzahl 12 Wochenstunden im Berufsschulbereich, Einrichtung neuer Vollzeitschulformen), so dass Keller-, Garderoben- und Sammlungsräume als Klassensäle genutzt werden mussten.
Es wurde die Vereinbarung getroffen, dass die Großhandelskaufleute an die benachbarte Friedrich-Feld-Schule (heute WSO) verlegt werden sollten (erfolgte schrittweise bis Januar 1976). Im September 1972 nahm die Fachschule für Wirtschaft (heute Betriebswirtschaft) ihren Betrieb auf (beantragt am 18. Januar 1972).
Mit der Angliederung von Berufsaufbauschule, Fachoberschule und Fachschule war ein kaufmännisches Bildungszentrum entstanden, dessen Name „Kaufmännische Berufsschule“ dem Bildungsangebot nicht mehr entsprach. Auf Antrag der Schule erhielt man mit Urkunde des Regierungspräsidenten in Darmstadt vom 28. August 1972 den Namen „Max-Weber-Schule“.
Die Floristen wechselten an die Kreisberufsschule.
Im Sommer 1978 wurde ein sechs Unterrichtsräume umfassender Pavillon als Außenstelle der MWS neben neuer Aliceschule im Gleiberger Weg errichtet.
Sämtliche Fachklassen für Arzthelferinnen, Zahnarzthelferinnen, Apothekenhelferinnen, Drogisten, Fotografen und Fotolaboranten wurden an die Kreisberufsschule (Vereinbarung vom Jahre 1972, bedingt durch ständige Raumnot an MWS und Verbesserung des Belastungsausgleichs zwischen Stadt und Landkreis Gießen) verlegt.
Auch die Schauwerbegestalter wechselten an die Kreisberufsschule. Die Klassen der Bahn liefen ebenfalls aus.
Im Sommer 1987 wurde eine zusätzliche Außenstelle mit 11 Unterrichtsräumen, zwei Fachräumen und einigen Verwaltungsräumen an der Helmut-von-Bracken-Schule bezogen.
Die Kreisberufsschule verlor zahlreiche Schüler/-innen an die Käthe-Kollwitz-Schule Wetzlar, somit entstand dort Raumüberhang und die Einzelhändler wurden nach neuer Schulbezirkssatzung von der MWS an die Kreisberufsschule abgegeben. Im Jahr 1992 wurde außerdem ein Lernbüro an der MWS eingerichtet.
An der Max-Weber-Schule werden heute drei Schulformen beschult: die Berufsschule Teilzeit, die Fachoberschule für Wirtschaft und Wirtschaftsinformatik sowie die Fachschule für Betriebswirtschaft. Von den rund 1.700 Schülerinnen und Schülern sowie Studierenden sind der weitaus größte Teil (ca. 1.300) Auszubildende, welche die Teilzeitberufsschule besuchen.